Der österliche Hymnus „Ad cœnam Agni“ –
Mystagogischer Wechselgesang zwischen Taufe und Eucharistie?
Übersetzung und liturgisch-spekulative Betrachtung
Der Osterhymnus „Ad c(o)enam Agni“ ist nach derzeitigen Kenntnissen im 5. oder 6. Jahrhundert entstanden, also in der Zeit zwischen Benedikt von Nursia und Gregor dem Großen und damit lange nach dem Mailänder Toleranzedikt Kaiser Konstantins von 313 wie auch nach der Erklärung des Christentums zur Staatsreligion durch Kaiser Theodosius I. im Jahr 380. Ob es in dieser Zeit noch massenweise Erwachsenentaufen mit Katechumenat, Skrutinien und Vigilfeiern gab, entzieht sich der Erkenntnis des Verfassers. Vielleicht aber liegen die Ursprünge des Hymnus noch weiter zurück und stammen aus der gerade beschriebenen kirchengeschichtlichen Situation.
Römisch – und an Rom denkt der Katholik bei liturgischen Ursprüngen sofort – ist der Hymnus freilich gewiß nicht, denn dort ließ man die neumodischen Strophenlieder aus Mailand in der Liturgie, das NGL der Antike, nur zögerlich zu. Das römische Stundengebet (Brevier) bis zu den Reformen des 20. Jahrhunderts kennt in den Kartagen und in der Osteroktav – für einen Taufhymnus nicht unentscheidend – überhaupt keine Hymnen und ist darin sehr ursprünglich.
Der heute zur Vesper in der Osterzeit gesungene Hymnus „Ad cœnam Agni“ betrachtet und verbindet die beiden „besonders“ österlichen Sakramente Taufe und Eucharistie. In den ersten vier Strophen gibt es ein auffälliges Hin und Her zwischen Taufe (Str. 1 und 3), und Eucharistie (2 und 4). Wenn man eine entfaltete und räumlich differenzierte Taufliturgie voraussetzt, könnte der Hymnus ein Wechselgesang der Neugetauften nach ihrer Taufe im Baptisterium auf dem Weg zum Altar in der Basilika mit den „Altgetauften“ gewesen sein, die die das Taufgeheimnis preisenden Neophyten erwarteten und sie mit einer „mystagogischen Hinführung“ zur Eucharistie in ihrer Mitte empfingen.
Diesem Gedanken soll hier nur vom Gehalt und Aufbau des Liedes her nachgegangen werden. Es wird also nicht belegt, daß es so gewesen sei (vermutlich nicht), sondern nur gezeigt, daß es sinnvollerweise so gewesen sein könnte. Damit der Hymnus in einer für den heutigen Beter vielleicht neuen und hoffentlich geistlich fruchtbringenden Sichtweise betrachtet.
Betrachten wir also den Text auf die genannte Vermutung hin und rekonstruieren wir rein spekulativ das liturgische Geschehen.
1. Strophe – Die Neugetauften:
Betrachten wir also den Text auf die genannte Vermutung hin und rekonstruieren wir rein spekulativ das liturgische Geschehen.
1. Strophe – Die Neugetauften:
Ad cœnam Agni próvidi,
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Zum Mahl des vorhergeschauten Lammes,
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stolis salútis cándidi,
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mit Gewändern des Heils geweißt (= bekleidet, geziert)
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post tránsitum maris Rubri
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nach dem Durchschreiten des Roten Meeres,
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Christo canámus principi.
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singen wir Christus, dem Fürsten.
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Die Neugetauften ziehen in
feierlicher Prozession aus der Taufkapelle zur Kirche. Als sie das Portal
durchschreiten, beginnen sie zu singen. Sie ziehen langsam durch das
Mittelschiff auf den Altar zu. Bis heute hatten sie noch nie an der Eucharistie
teilgenommen, sondern die Messe nach dem Wort-/Katechumenen-Gottesdienst
verlassen.
Den Hymnus hatten die Taufbewerber natürlich
vorher üben müssen. Die Strophen der Altgetauften waren ihnen aber bei den
Proben nicht mitgeteilt worden, weil ihnen das in ihnen beschriebene Geheimnis erst
nach der Taufe enthüllt werden durfte. Noch ist ihnen nicht klar, daß das von
den Propheten des Alten Bundes geschaute Lamm (Vers 1), zu dessen Mahl sie
singen, Christus selber ist (Vers 4), dem ihr Loblied ja bereits gilt. Das
erfahren sie nun von den Altgetauften.
2. Strophe – Die Altgetauften:
Cuius corpus sanctíssimum
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Dessen allerheiligsten Leib,
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in ara crucis tórridum,
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den auf dem Altar des Kreuzes verbrannten (=geopferten),
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sed et cruórem róseum
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und auch sein rosenfarbenes Blut
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gustándo, Deo vívimus.
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schmeckend, leben wir (für) Gott.
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Die in der Kirche versammelten Altgetauften hatten
bereits die österliche Vigil zusammen mit den Taufbewerbern gehalten (diese ohne
Kerzen), die dann zur Taufe in das Baptisterium geführt worden sind. Nun ist
die Taufe vollzogen und die Neugetauften kommen mit Lichtern und gehüllt in
weiße Kleider und wohlriechenden Ölduft näher.
Die Altgetauften schließen an das Bekenntnis der
Neugetauften bejahend (mit relativischem Anschluß) mit der zweiten Strophe des
Hymnus an und bekennen ihnen das Geheimnis, zu dem sie nun durch die Taufe
Zugang haben: Bei dem Mahl des Lammes handelt es sich um Christus selbst,
seinen Leib und sein Blut. Durch den geopferten und genossenen Christus leben
die Christen erst wirklich, nämlich auf ihren Schöpfer hin und für ihn (vgl. Vers 4
mit Röm 6, 10).
3. Strophe – Die Neugetauften:
Protécti paschæ véspero
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Geschützt am Abend des Pascha
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a devastánte ángelo,
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vor dem verwüstenden Engel,
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de Pharaónis áspero
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von des Pharaos harter
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sumus erépti império.
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Herrschaft sind wir erlöst.
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Die Neugetauften haben die Mitte des
Kirchenschiffs erreicht. Die Altgetauften in den Seitenschiffen säumen ihren
Weg oder erwarten sie vor dem Altar.
Der Gott, an dem die Neugetauften nun Anteil
haben, ist derselbe, der einst Israel erwählt und befreit hatte. Sie loben ihn
als ihren Schützer und Befreier mit einem Taufbekenntnis in alttestamentlichen
Bildern, das auch die dankbaren Altgetauften an ihre eigene Taufe erinnert. Die
Neugetauften erkennen in ihrer Taufe die Erfüllung des „Vorbilds“ der Befreiung
aus der ägyptischen Sklaverei: Es ist Pascha – Vorübergang – damals des
Würgeengels, der bei der zehnten Plage Ägyptens Erstgeborene tötete, um sein
Volk zu befreien, und an den mit Lammesblut bestrichenen Türen „vorüberging“;
heute soll es für die Neugetauften zu erstenmal das für sie immer noch
geheimnisvolle neue Pascha sein; eine neue, völlig erlösende Befreiung, ein
Übergang vom Tod zum Leben, von der Sünde zur Lauterkeit.
4. Strophe – Die Altgetauften:
Iam pascha nostrum Christus est,
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Nunmehr ist unser Pascha Christus,
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agnus occísus ínnocens;
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das unschuldig geschlachtete Lamm,
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sinceritátis ázyma
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der Lauterkeit ungesäuertes Brot,
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qui carnem suam óbtulit.
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der sein Fleisch geopfert hat.
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Während dieser Strophe erreichen die Neugetauften ihre Plätze für die Eucharistie.
Die Altgetauften greifen den Jubel über die Taufe
und die implizite Frage nach dem neuen, wahren Pascha auf und besingen einen zweifachen
Übergang: Mit dem Wort „iam/nunmehr“ wird auf den Übergang vom Alten zum Neuen
Bund hingewiesen; das die Alt- mit den Neugetauften verbindende „nostrum/unser“ bringt die
Aufnahme der Täuflinge in die heilige Gemeinschaft der Kirche und die Einheit
aller in Christus zum Ausdruck. Der neue Bund besteht im ein für allemal
vergossenen Blut des wahren Lammes, dessen Lauterkeit die Gläubigen heiligt.
5. Strophe – Die Neugetauften (oder alle):
O vera digna hóstia,
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O wahre, würdige Opfergabe,
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per quam frangúntur tártara,
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durch die gebrochen werden die Unterwelten:
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captíva plebs redímitur,
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Das gefangene Volk wird erlöst;
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reddúntur vitæ práemia!
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wiedergegeben wird des Lebens Lohn.
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Diese Strophe des Hymnus preist das bisher
Besungene und ist damit vielleicht ursprünglich die von beiden Gruppen
gemeinsam gesungene abschließende Doxologie (auf
http://gregorien.info/chant/id/8845/13/de – Zugriff am 23. 4. 2017 – endet der
Hymnus tatsächlich hier), die das Geschehen der Gabenbereitung passend
begleiten würde: Die Kirche feiert und empfängt im Sakrament des Altares das
von Christus verliehene göttliche Leben.
Wenn wir aber die folgenden Strophen hinzunehmen
und damit diese fünfte den Neugetauften allein in den Mund legen, wäre diese
Strophe deren lobpreisende Zustimmung zu dem, was sie von den Altgetauften in
den Strophen 2 und 4 gehört haben. Wie wir sehen werden, sind die folgenden
Strophen, wenn sie denn späteren Datums sein sollten, glücklich hinzugefügt.
6. Strophe – Die Altgetauften:
Consúrgit Christus túmulo,
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Erhoben hat sich Christus aus dem Grabe,
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victor redit de bárathro,
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als Sieger ist er zurückgekehrt aus der Unterwelt,
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tyránnum trudens vínculo
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den Gewaltherrscher in Ketten legend
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et paradísum réserans.
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und das Paradies entriegelnd.
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Nachdem
nun die Neugetauften in das Geheimnis der Eucharistie eingeweiht sind, können
die Altgetauften die sakramentale Mystagogie beenden und selber in den Lobpreis
des Ostergeschehens einstimmen, aus dem ja Taufe wie Eucharistie entspringen.
Die letzten beiden Verse lassen sie „froh-eucharistisch“ zu den Neugetauften
schauen, die jetzt an der Erlösung teilhaben und sich nun erstmals gemeinsam
mit ihnen bei der Opferung Gott darbringen.
7. Strophe – Die Neugetauften:
Esto perénne méntibus
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Sei dem Geist (pl.) ewige,
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paschále, Iesu, gáudium
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Jesus, österliche Freude,
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et nos renátos grátiæ
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und uns Wiedergeborene geselle der Gnade
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tuis triúmphis ággrega.
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deines Triumphes zu.
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Nun beten
die Neugetauften erstmals direkt zu ihrem Erlöser. Dem Lobpreis der
Altgetauften aus der vorigen Strophe fügen sie die sich aus ihrer Taufe ergebende
Bitte an, daß Jesus ihre Freude bleibe und sie auf dem Weg des Heiles bis zur
ewigen Herrlichkeit bewahre.
8. Strophe – Alle:
Iesu, tibi sit glória,
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Jesus, dir sei Herrlichkeit,
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qui morte victa práenites,
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der du den besiegten Tod überstahlst,
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cum Patre et almo Spíritu,
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mit dem Vater und dem erquickenden Geist
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in sempitérna sáecula.
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in alle Ewigkeit.
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Der gemeinsam gesungene Lobpreis richtet sich zunächst an Christus, durch den die Singenden erlöst und Glieder an seinem Leib geworden sind. Der Lobgesang weitet sich ganz klassisch und sozusagen konventionell auf die beiden weiteren Personen der göttlichen Dreifaltigkeit hin aus. Das vielleicht nur dem Versmaß geschuldete, dem Heiligen Geist zugemessene Attribut „almo“ („nährend, erquickend“) könnte ein Hinweis auf die Besiegelung der Taufe (Firmung) sein.